Berichte von 05/2015

Mein zweites Zuhause?

Montag, 25.05.2015

Ich weiss, seit dem letzten Blogeintrag ist leider sehr viel Zeit vergangen und ich weiss nicht, wie ich alles erzaehlen soll, was ich seitdem erlebt habe. Aber hier starte ich zumindest den Versuch, euch die wichtigsten Momente der letzten 5 Monate nahezubringen.

Los gehts mit Weihnachten 2014. Dieses Weihnachten war für mich sehr anders und seltsam, weil ich es nicht mit meiner Familie und in vertrauter Umgebung zuhause verbringen konnte. Stattdessen habe ich es in einer mir oft noch fremden, ganz andersartigen Kultur erlebt. Der 24. Dezember war wohl der arbeitsreichste Tag fuer mich seit ich in Tansania angekommen war: Wir verbrachten den Tag damit, im Haus herumzuwerkeln, alles zu putzen und von Spinnweben zu befreien, die Vorhänge zu wechseln und sämtliche kitschige Spitzendeckchen gegen andere, genauso kitschige auszutauschen. Abends schlüpften wir in festliche, maßgeschneiderte Kleider, die wir extra für diesen Anlass hatten anfertigen lassen, frisierten uns gegenseitig und ich fühlte mich zum ersten Mal seit langem wieder vorzeigbar. Die Kirchenmessen in den folgenden Tagen verliefen aufregend und feierlich, seit Ende Oktober waren Kaddi und ich bei einem Gospelchor dabei, mit dem wir an den Feiertagen auftraten. Das machte Spaß und in der festlichen Stimmung klangen unsere Lieder wie Jubelgesang. Ansonsten verlief Weihnachten sehr entspannt und fast schon langweilig: Es war ein ständiger Wechsel aus Entspannen mit den Schwestern und Pfarrern vor dem Fernseher und Festmählern wie Pilau (gewürzter Reis mit Gemüse und Fleisch), Suppen, Pommes, leckeren Salaten und zur Abwechslung mal zartem Fleisch. Es war ein anderes Weihnachten, aber eben auch ein besonderes, und darum wird es mir noch lange in Erinnerung bleiben.

Ein paar Tage später kamen Hanna und Pati, andere Freiwillige zu uns, die nicht weit weg im benachbarten Dorf Kisa leben. Mit ihnen hatten wir einen ganz speziellen Trip geplant: Wir wollten zum Ngozi Crater Lake, einem Vulkankratersee in der Nähe von Tukuyu. Dafür fragten wir einen Bekannten von uns, ob er uns hinfahren und den See zeigen würde. Dieser war sofort einverstanden (die Gastfreundschaft derTansanier lässt grüßen) und nach einer einstündigen Autofahrt kamen wir in dem kleinen, verschlafenen Dörfchen Ngozi an. Dort arrangierte Lwitiko, unser Bekannter, noch einen Guide für uns,da er selbst sich nicht so genau auskannte. Als dieser schließlich mit uns im Auto saß,ging die Fahrt zum Vulkankratersee und in unser bisher größtes Abenteuer los. Dieses endete zunächst abprubt als wir nach 20 Minuten Fahrt auf einem matschigen Feldweg in einem riesigen Schlammloch feststeckten, das so tief war, dass als wir die Autotüren öffneten, das dreckige Wasser fast ins Innere lief. Mit vereinten Kräften und nach minutenlanger Anstrengung schafften wir es, das Auto aus dem Loch zu schieben und weiter ging die Fahrt. Allerdings nun deutlich geräuschvoller als zuvor: In den Auspuff war Dreckwasser und Schlamm hineingelaufen,weshalb das Getriebe ständige Spuckgeräusche von sich gab, zudem schien am linken Rad irgendwas nicht in Ordnung zu sein, denn es knirschte und kreischte ganz komisch. Wir Freiwilligen, die wir wussten, dass Lwitikos Auto ohne unsere Bitte, dass er uns hierhinfahren würde, noch unbeschädigt wäre, fühlten uns schuldbewusst und tauschten verstohlene Blicke aus. Diese nahmen immer mehr zu, je weiter wir fuhren, denn der Weg, der von Anfang an in schlechtem Zustand und eher der Natur überlassen gewesen schien, wurde noch unbefahrbarer: Er wand sich in kleinen und engen Kurven durch felsiges Gebirge und dichten Dschungel, im Boden steckten große Steine,die wir kaum umgehen konnten. Oft brauchte Lwitiko mehrere Anläufe, um das Auto über die Hindernisse zu steuern oder diese im Millimeterabstand zu umfahren. Inzwischen baten wir ihn regelrecht umzukehren oder uns an Ort und Stelle rauszulassen, um den Rest des Wegs zu laufen, doch er stritt unsere Bitten jedes Mal nur mit einem fröhlichen „Don’t worry“ ab. Irgendwann kamen wir endlich rucklig zum Stehen auf einer Lichtung mitten im Dschungel und besahen uns den recht steilen Berg Ngozi, in dessen Mitte der Kratersee auf uns warten würde. Der Aufstieg verlief ziemlich anstrengend angesichts der Tatsache dass unser Guide anscheinend für einen Marathon probte: Er rannte buchstäblich voraus, sodass wir auf den engen Pfaden umherirrten und –hetzten und uns kaum Zeit für einen Blick um uns herum, um das grüne Dickicht, verschlungene Lianen und bemooste Bäume auf denen Affen herumhangelten, blieb.  Urwald-Feeling Wir hörten nur exotisches Zirpen und Fiepen um uns herum, spürten das feuchte Klima und wedelten uns gegenseitig die unglaublich vielen Stechmücken von den T-Shirts. Nach einer halben Stunde Hillrun sahen wir zum ersten Mal unseren Führer wieder: Er war stehen geblieben, was wohl bedeutete, dass wir angekommen waren. Jedoch waren wir noch viel zu weit oben und ein Blick nach links zeigte uns, dass der Kratersee zwar groß und grün schillernd vor uns lag, allerdingsnoch gute 250 Meter unter uns. Lwitiko erklärte uns, dass der weitere Weg unpassierbar wäre, da er während der letzten Regenzeit verwüstet wurde. So mussten wir uns also mit der zugegeben spektakulären Aussicht auf den See zufrieden geben. Zudem waren wir so erschöpft von der vorigen Rennerei, dass es uns nicht allzu viel ausmachte, nicht mehr weitergehen zu können. Angekommen! Ngozi Crater Lake

Ngozi Crater Lake

Nach 15-minütiger Pause und Beweisfotos vor dem See beschloss unser Guide, dass wir lange genug herumgehangen hatten und rannte uns voraus zurück. Das Ganze ging also wieder von vorne los und nach Rekordzeit (keine 25 Minuten obwohl im Reiseführer von 1 Stunde die Rede war!) erreichten wir Lwitikos Auto auf der Lichtung. Wer aber denkt,dass unser Abenteuer hiermit zuende war, liegt falsch: Es hatte noch gar nicht richtig angefangen. Kaum saßen wir im Auto, stellte sich erneut das Problem des unbefahrbaren Weges. Wir saßen erschöpft und verschwitzt im Wagen,beäugten eine Horde Stechmücken, die sich an der Autodecke versammelt hatte und uns ab und zu zu stechen versuchte, während wir langsam dahinzockelten. In einer engen Kurve war schließlich Schluss: Dort waren so große Gesteinsbrocken im Weg, dass Lwitiko den Wagen weder daran vorbei noch darüber hinweg steuern konnte. Deshalb brachte er den grandiosen Vorschlag auf, die Felsbrocken doch einfach auszubuddeln und aus dem Weg zu räumen. Steine ausgraben? Beste Idee!Nachdem dieser Versuch klaeglich scheiterte, stieg Lwitiko wieder in seinen Wagen, mit dem festen Entschluss, über die Steine hinwegzufahren. Wir Freiwilligen blieben draußen und versuchten den Wagen bei laufendem Motor über die Felsbrocken zu schieben – erfolglos. Das einzige Ergebnis war ein platter Reifen, der eine Weiterfahrt nun völlig unmöglich machte. Inzwischen hatte sich die Dämmerung über uns gelegt und es begann, dunkel zu werden. Seit einiger Zeit hatte es begonnen zu regnen und inzwischen braute sich ein Gewitter direkt über uns auf. So quetschten wir uns alle wieder ins Auto und diskutierten nervös kichernd über die Tatsache, dass wir uns in Dunkelheit, strömendem Regen und Gewitter,mit Handys ohne Netz mitten im Regenwald in einem defekten Auto Stunden entfernt von jeglicher Zivilisation befanden. Komischerweise fanden wir das alles eher lustig als beängstigend – vermutlich die Hysterie. Lwitiko beschloss indessen, uns nicht unserem doch etwas bedrückenden Schicksal zu überlassen, sondern joggtelos, um Hilfe zu holen. Nach ungefähr zwei Stunden Wartezeit im Auto waren wir sehr erleichtert, plötzlich Lichter vor uns auftauchen zu sehen. Diese gehörten zu zwei Piki Pikis, Motorrädern, die Lwitiko hatte auftreiben können. Überglücklich quetschten wir uns zu siebt auf zwei Piki Pikis, ließen das zerschundene kaputte Auto einfach mitten auf dem Weg zurück, und begannen den nun vom Regen matschigen Weg, der selbst mit Motorrädern nicht gut befahrbar war. Trotzdem gelang es den Fahrern, uns aus dem Regenwald herauszuführen und auf einen etwas besseren Feldweg zu fahren. Trotz fehlendem Licht kamen wir gut voran und als Kaddi und ich gerade dabei waren, uns auszumalen, bald wieder in der Zivilisation anzukommen, geschah das nächste Unglück: Unser Piki Piki hatte kein Benzin mehr und blieb kurzerhand stehen. Die anderen düsten natürlich fröhlich ohne uns weiter, während wir nun im Stockfinsteren mit einem nun nutzlosen Motorrad standen. Da dies aber nur eine weitere Katastrophe in einer ganzen Kette von Katastrophen war, die sich an diesem Tag schon ereignet hatten, stiegen wir ohne zu murren ab und liefen, uns leise unterhaltend, im Dunkeln den Weg entlang, während wir das nun weitergezogene Gewitter am Himmel bestaunen konnten. Nach endlosem Laufen und ca. 100 Meter bevor wir das Dorf Ngozi und unser Ziel erreicht hatten, kam uns der andere Piki Piki-Fahrer mit einem Kanister Benzin hingegen. So konnten wir also die letzten 100 Meter noch auf dem Motorrad sitzen, welch Ironie. Als wir Hanna und Pati wieder trafen, erfuhren wir, dass sie derweil auch nicht ohne ein Abenteuer ausgekommen waren: Zu viert auf ein Motorrad gequetscht, sahen sie das Gefährt auf einen weiß leuchtenden Streifen vor ihnen zurasen und fragten sich noch verwirrt,was das wohl sein könnte,als sie auch schon durchgeprescht waren: Sie waren in voller Fahrt durch eine Schranke gefahren und hatten diese aus der Halterung gerissen. Glücklicherweise wurde außer dem Motorradlicht nichts beschädigt. So hatten wir es also geschafft, an einem Tag sowohl ein Auto als auch ein Motorrad zu beschädigen. Das war wohl ein Rekord. Als wir schließlich völlig geschafft und verdreckt, aber glücklich im Bus auf der Heimfahrt saßen, schworen wir uns, diesen Tag nie zu vergessen und ihn als „Montag,den 29.Dezember“ für immer in die Geschichte eingehen zu lassen.

Am nächsten Tag ging schon das nächste aufregende Ereignis los: Silvester stand kurz bevor und wir Freiwilligen aus Mbeya hatten beschlossen, das Ende des Jahres am nahegelegenen Malawisee, dem 9-größten See der Erde zu verbringen, der ungefähr den Umfang von Belgien hat. Zuerst trafen wir uns in Kyela, der größten Stadt in der Nähe vom See, nahmen uns zu zehnt ein Taxi und fuhren ca. 2 ½ Stunden weiter in den Süden, während afrikanische Charts aus dem Radio unsere Sommerlaune noch steigerten. Als wir angekommen waren, zeigte sich, wie wunderschön der See tatsächlich war: Umgeben von feinem Sand- und Kiesstrand, an dessen Ufern Einbäume, einheimische Fischerboote aus Holz, lagen, erstreckte er sich strahlend blau und scheinbar endlos wie das Meer vor uns. Abendstimmung am Malawisee Am Malawisee Silvesterabend

Unser für die vier Tage gebuchtes Haus, stand direkt am Strand und war für tansanische Verhältnisse äußerst luxuriös und groß (es gab sogar richtige Duschen, was man nach fast 3 Monaten mit eiskalten Eimerduschen sehr zu schätzen weiß!). Was den Urlaub so besonders machte, war auch die Tatsache, dass es in Matema, dem Dorf am Ufer des Sees überhaupt nicht wirklich touristisch war.Der kleine Markt, auf dem wir uns mit Essen versorgten, war typisch afrikanisch und klein; am Ufer des Sees verrichteten die Einheimischenihre täglichen Arbeiten, fischten nach Dagaa (kleinen Fischen im seichten Gewässer), wuschen ihre Wäsche oder duschten sich sogar im See. Kurz gesagt, der See wird von ihnen gut genutzt. Es war schön, die Einheimischen in ihrem alltäglichen Leben beobachten zu können und zu sehen, wie einfach die Menschen leben, und wie sie doch gleichzeitig alles haben, was sie brauchen. Ich freundete mich mit einem Mädchen namens Tumaini an, half ihr beim Wäsche waschen im See und ließ mir von ihr zeigen, wie man Dagaa fischt. Abgesehen von diesen Eindrücken kam auch das Urlaubsfeeling nicht zu kurz: Wir Freiwilligen spielten viel Gitarre auf der Veranda und sangen mehrstimmig dazu, schwommen im angenehm kühlen Wasser, ließen uns am heißen Strand von der Sonne bräunen und ließen die Abende mit Chipsi Mayai, mit Ei überbackene Pommes, und Gesprächen unter dem Sternenhimmel ausklingen. Unsere Truppe 

So war auch Silvester ein besonderer Abend, den wir mit Wunderkerzen und Wein am Strand verbrachten und noch bis in den frühen Morgen mit anderen Deutschen, Amerikanern und Tansaniern feierten. Am Morgen des 1. Januars waren wir alle dementsprechend müde, doch ließen es uns nicht nehmen, eine halbtägigeTour zu in den Bergen gelegenen Wasserfällen zu unternehmen. Der Weg dorthin war trotz drückender Hitze wunderschön und wir kamen an Gumben, naturgeformter Becken voller Wasser vorbei, über denen sich Dutzende exotischer, fremdartiger Schmetterlinge mit großen, bunten Flügeln tummelten. Am Ziel angelangt hatte sich unser Aufstieg mehr als gelohnt: Der Wasserfall floss aus grosser Hoehe in ein kristallklares,smaragdgruenes Becken, in dem wir uns erfrischen und abkühlen konnten. Auf dem Weg zu den Wasserfaellen Wasserfall 

Voll von schönen Momenten flog die Zeit nur so dahin, und am nächsten Tag ging es schon an die Abreise.

Für Kaddi und mich ging es allerdings noch nicht zurück an unsere Einsatzstelle, sondern auf ins nächste Abenteuer. Morgens um 6.00 machten wir uns mit einem heruntergekommenen,verlotterten Bus mit modrigen Vorhängen und Löchern in den Fensterscheiben, auf die lange, 1000-Km lange Strecke in den Norden Tansanias, nach Arusha. Nach 17 Stunden Busfahrt quer durchs Land kamen wir nachts in der Großstadt an und kamen für eine Nacht bei anderen Freiwilligen unter. Mir ging es seit der Busfahrt nicht mehr gut, ich hatte Fieber, mir war speiübel und mein Bauch versagte jegliches Essen. Dies wurde nicht besser, weshalb ich mich am nächsten Tag zittrig und elend allein in ein Taxi setzte, mit dem Vorsatz, mich zuerst mit der Mitfreiwilligen und sehr guten Freundin Annika zu treffen und dann ins Krankenhaus zu gehen. Während der Taxifahrt redete ich meinem Bauch gut zu, nicht in dieses Auto zu kotzen und nicht einzuschlafen, was zur Folge hatte,dass ich, als das Taxi nach zwei Stunden endlich anhielt, regelrecht aus dem Auto stolperte und vergaß, meinen Reiserucksack aus dem Kofferraum zu nehmen. Dieses Drama fiel mir allerdings erst abends auf, als ich erschöpft aus dem Krankenhaus kam (Diagnose: Typhus!) und gleichzeitig glücklich war, endlich bei Annika angekommen zu sein und ihre Einsatzstelle sehen zu können. Da es mir in den folgenden Wochen wegen des Typhus nicht gut ging, verbrachte ich viel Zeit mit Annika und Gabriela, der Mitfreiwilligen, im Zimmer redend oder lesend oder in deren Garten. Die beiden leben mitten auf einer Kaffeeplantage irgendwo im Nirgendwo, umgeben von wunderschöner, unberührter Natur und mit Blick auf den berühmten Ngorongoro-Krater, einem wunderschönen Nationalpark. Wir unternahmen Spaziergänge durch die Plantage, sahen Hunderte von Störchen als Zugvögel über den Himmel ziehen, und hörten nachts das Trompeten von Elefanten ganz in der Nähe. Der Wachmann des Anwesens wollte von uns deutsch lernen (besonders begeistert war er von dem Wort „Matschepampe“), brachte uns Wörter der regionalen Stammessprache Kiraq bei und erzählte uns von Begegnungen mit Löwen und Büffeln. Als es mir besser ging, half ich Annika und Gabriela in deren Kindergarten mit. Dieser ist erstaunlich gut eingerichtet, es gibt sogar Spielsachen und Lernmaterialien für die Kinder, was wohl ziemlich einmalig in Tansania ist. Die Arbeit machte mir Spaß und die Kinder wuchsen mir in dieser Zeit sehr ans Herz. Währenddessen traf meine Mitfreiwillige Kaddi, die Urlaub bei einer anderen Freundin in Arusha machte, eine Entscheidung, die mich ein bisschen schockte. Ich erfuhr, dass sie unsere gemeinsame Einsatzstelle in Tukuyu verlassen und nach Daressalam versetzt werden würde. Nun hatte ich die Wahl, mit ihr zu gehen oder allein in Tukuyu zu bleiben. Nach stundenlanger Überlegung entschied ich mich dafür, es alleine an meiner Einsatzstelle zu versuchen, war aber gleichzeitig sehr nervös und unsicher, ob ich mich richtig entschieden hatte. Bevor ich jedoch an meine Einsatzstellen zurückkehren würde, kam erstmal das Zwischenseminar unserer Gruppe, das vom 5. bis 11.Februar in Morogoro stattfand. Vor unserer Fahrt dorthin gönnten Gabriela, Annika und ich uns ausnahmsweise mal einen richtig touristischen Tag in der sehr westlich geprägten Großstadt Arusha. Wir gingen mexikanisch essen, kauften uns selbstgebackene Chocolate Chip Cookies und Milchshakes und betraten einen Supermarkt, in dem es Milkaschokolade, Katzenfutter und Bücher gab – kurz gesagt, Dinge, die sich kein Tansanier kaufen würde, und die mich deshalb sofort in deutsche Supermärkte zurückversetzten. Ehrlich, ich glaube das war der größte Kulturschock für mich seit meiner Ankunft in Tansania. Abends setzten wir uns auf die Dachterrasse unseres Backpackerhotels und genossen zum ersten Mal seit langem Burger mit Pommes. Ein Traum!

Als wir am nächsten Tag die 10-stündige Busfahrt nach Morogoro hinter uns gebracht hatten, war es eine große Freude, alle anderen Freiwilligen wiederzusehen und sich untereinander über die erlebte Zeit auszutauschen. Endlich konnte man die anderen wiedersehen!

Es war eine schöne Woche voller entspannter und schöner Momente, aber auch emotional eine wichtige Zeit, da man über alles Erlebte reflektierte und einem klar wurde, dass man schon die Hälfte geschafft hatte. Ein Highlight des Seminars war eine 11-stündige Wanderung durch die nahegelegenen Uluguru-Berge, die uns auf verschlungenen Wegen stets nah am Abgrund, durch saftige Landschaft und an Lehmsiedlungen von Einheimischen vorbei, zu einer kleinen Oase mit einem Wasserfall führte, an dem wir uns von den Strapazen der Wanderung erholten. Wanderung durch die Uluguru-Mountains

An den übrigen Tagen blieb uns Zeit, die Stadt Morogoro zu erkunden; wir bummelten die Straßen entlang, knabberten an saftig süßem Zuckerrohr und kauften uns Dila, lange bunte Gewänder, die man an Festtagen anzieht. Wie immer, wenn man eine schöne Zeit hat, verflogen die Tage nur so dahin und die Abreise zurück in die Einsatzstellen stand bevor. Nachdem ich mich ausführlich von allen Freiwilligen, die ich bis zum Rückflug nach Deutschland nicht mehr sehen würde, verabschiedet hatte, stieg ich mit allen Mbeya-Freiwilligen in einen Bus und genoss für dienächsten 12 Stunden die atemberaubenden, sich immer abwechselnden Landschaften vor dem Fenster. Wir saßen zu fünft in der letzten Reihe, was an sich super war, aber auch seine Nachteile hatte. Zwar konnten wir uns so super unterhalten, andererseits jedoch waren die Sitze der letzten Reihe erhöht, und da die tansanischen Straßen aufgrund vieler Zu-schnell-Fahrer oft von gewollten Hubbeln unterbrochen sind, hüpften wir bei jedem Hubbel von unseren Sitzen (gibt natürlich keine Anschnallgurte!) und mit den Köpfen gegen die Busdecke. Die Fahrt verlief also alles andere entspannt, ständig kam ein „Vorsicht, Hubbel!!!“, woraufhin sich alle duckten und an den Sitzen festkrallten.

Abends um 20 Uhr kam ich zum ersten Mal seit 1 ½ Monaten wieder an meine Einsatzstelle, diesmal alleine, und war dementsprechend nervös. Meine Aufregung schlug in Freude um, als dieHausmädchen mich begeistert begrüßten und die Schwestern verkündeten, sie hätten sogar mein Zimmer für mich geputzt. Ich war froh wieder da zu sein, denn irgendwie war Tukuyu für mich schon ein bisschen mein Zuhause geworden.

Die nächste Zeit, so komisch es für mich auch war plötzlich alleine zu sein, wurde schnell zum Alltag. Alles spielte sich ein und hatte einen monotonen, eher trostlosen Ablauf. Morgens in die Kirche, von 8 bis 12 Uhr auf die Arbeit,anschließend tagsüber gar nichts oder nur Chor. Obwohl ich meine Arbeit gewechselt hatte, nämlich vom Kindergarten in die erste Klasse der Grundschule, wurde diese nicht wesentlich besser. Unterricht

Anstatt 60 Kinder im Alter von 2-6 Jahren hatte ich jetzt plötzlich über 70 Kinder im Alter von 6-8 Jahren, was die ganze Situation nicht unbedingt erleichterte. Es sind einfach zu viele Kinder, um gut unterrichten zu können, sie sind noch klein und haben eine dementsprechend kurze Aufmerksamkeitsspanne, und so viel Energie auf einem Haufen sorgt meist für großes Chaos, Geschrei und Geweine. Dass ich unterdessen an der Tafel stehe und mich heiser schreie, in dem Versuch, die Geräuschkulisse der Kinder zu übertönen, interessiert diese nur geringfügig oder amüsiert sie sogar. Zudem teile ich mir den Unterricht mit einer anderen Lehrerin, die die Fächer Kiswahili und Mathe unterrichtet, und mich die meiste Zeit mit höflicher Verachtung straft. Oft darf ich gar nicht unterrichten, weil sie der Meinung ist, dass ihre Fächer wichtig sind als mein Englischunterricht, aber ich glaube, dass sie insgesamt nicht viel von Unterrichten hält, da sie den Großteil der Unterichtsszeit damit verbringt, die Kinder nacheinander ausführlich zu verprügeln. Das jeden Tag mit ansehen zu müssen, ist immer wieder aufs Neue furchtbar und ich glaube nicht, dass ich mich jemals daran gewöhnen kann. Umso mehr versuche ich den Kindern mit aufmunternden Worten und einem Lächeln den Unterricht zu versüßen, doch macht es die Schläge, die sie jeden Tag erwartet, auch nicht sanfter. Trotz der schwierigen Situation dort macht es mir aber Spaß, wenn ich doch mal eine einigermaßen erfolgreiche Unterrichtsstunde hatte und merke, dass manche Kinder ganz wissbegierig darauf sind, zu lernen. Leider kommt dies nur nicht allzu oft vor und oft fühle ich mich einfach weder gewollt noch gebraucht. Die Tatsache, dass ich hier ganz auf mich gestellt bin und niemand hier bei mir ist,der sich wirklich für mich interessiert oder mich als den Mensch, der ich bin, mag, kann einem sehr zu schaffen machen und es gibt Momente, da fühlt man sich allein und verloren in einer fremden Kultur unter Menschen, mit denen man zusammenlebt, und von denen man sich doch so ausgegrenzt und abgeschieden fühlt. Zudem kam hinzu, dass ich ab März permanent krank war. Nach mehrmaligen Krankenhausaufenthalten und meiner ersten Nacht in einem tansanischen Krankenhaus, wurde mir der krasse Niveauunterschied zu deutschenKrankenhäusern drastisch und unmittelbar bewusst, schon damit angefangen, dass die Ärzte eine geschlagene Stunde lang mit der Nadel meine Vene nicht trafen, und währenddessen fasziniert über meine auf der weißen Haut deutlich sichtbaren blauen Adern staunten. Mir wurde zum zweiten Mal Typhus diagnostiziert, zudem wurde ich von Würmern geplagt und als ob es nicht schon genug wäre, ließ ich mich Wochen später wegen erneuten Bauchschmerzen mit Ultraschall untersuchen und es wurde festgestellt, dass meine Gebärmutter entzündet ist, wer weiß wielange schon. All dies zehrte an meinen Nerven und die mangelnde Fürsorge der Schwestern endete damit, dass ich einen Großteil meiner Zeit allein in meinem Zimmer verbrachte und hoffte, dass bald alles besser werden würde. Bedürftig nach Kontakt und Menschen, die sich für mich interessieren, floh ich an den Wochenenden regelrecht zu anderen Freiwilligen an ihre Einsatzstellen und wäre am liebsten dort geblieben.

Ein schönes Erlebnis unter den vielen trostlosen war Ostern. Die Tage waren begleitet von festlicher Stimmung und das Haus der Schwestern wurde, wie schon an Weihnachten, auf Hochglanz geputzt und mit kitschigen Bändern und Plastikblumen geschmückt. Ein wahrer Marathon an Kirchenmessen ging los, teilweise mehrere am Tag, und innerhalb von 5 Tagen hatte ich ungefähr 18 Stunden in der Kirche verbracht. Allerdings sang ich wieder im Chor mit, was mir Spaß machte und die gttesdienste lebendiger und fröhlicher machte. Abgesehen vom Kirchegehen verbrachte ich die Ostertagemit, ja wer hätte das gedacht, backen. Oberschwester des gesamten Schwesternordens der Region war über die Feiertage zu uns gekommen und zusammen backten wir Unmengen von Kuchen, verschiedenen Kekssorten und sogar Pizza. Das war ein ziemliches Abenteuer angesichts der Tatsache, dass wir keinen Ofen, sondern nur eine Feuerstelle haben, aber mit ein bisschen experimentieren und einem improvisierten, selbst gebauten Ofen klappte das Backen tadellos. Und sowohl Kuchen als auch Pizza schmeckten ausgezeichnet! Bild Anfang Mai lief es mit meiner Gesundheit wieder besser und auch ansonsten ging alles wieder bergauf. Wieder fit und frischen Mutes ging ich zum ersten Mal seit langem wieder in den Chor und wurde begeistert und herzlich wieder aufgenommen. Da mein Kiswahili sich inzwischen deutlich verbessert hatte und ich mich besser ausdrücken konnte als noch am Anfang meines Freiwilligendienstes, konnte mich besser mit den Menschen unterhalten und eine gute Beziehung zu unseren Hausmädchen aufbauen. Zu denbeiden Mädels Veronika (11) und und Christina (13) waren inzwischen noch zwei weitere, nämlich Martina (22) und Emiliana (17) hinzugekommen. Mit ihnen verbringe ich viele Abende bei Kerzenlicht oder einfach vor der Feuerstelle und lache oder singe mit ihnen. Wir singen Lieder aus dem Chor oder ich bringe ihnen Lieder aus Deutschland bei. Christina geht in die 7.Klasse und muss viel lernen, weshalb ich ihr ab und zu bei Englisch helfe. Die Mädchen sind super und so schockiert ich auch darüber bin, dass sie von 6 Uhr morgens bis 22 Uhr abends für die Schwestern schuften müssen, so sehr bewundere ich sie dafür, wie sie das meistern. Stets guter Laune und mitfühlend, während sie immer das selbe leisten müssen, Tag für Tag für Tag. Vielleicht noch ihr ganzes Leben lang.

Die Hausmaedchen Christina, Veronika und Emiliana Christina Christina

Ein weiterer Hoffnungsschimmer in meinem Alltag hier ist meine Beziehung zu Sista Lucy, der jüngsten Schwester, die seit Dezember hier bei uns wohnt. Mit ihrer energiegeladenen, fröhlichen, witzigen Art und ihrer Angewohnheit, im Haus herumzutanzen, kann man gar nicht anders als sie zu mögen. Im Gegensatz zu den anderen Schwestern behandelt sie die Hausmädchen respektvoll und freundlich, macht jegliche Arbeit, zu denen sich die anderen Schwestern im Traum nicht hinabbegeben würden,ohne zu murren, sitzt oft abends mit mir bei den Hausmädchen und kümmert sich immer darum, dass ich meine Medikamente nehme, wenn ich krank bin, dass ich heißes Wasser zum Duschen bekomme und dass es ab und zu europäisches Essen wie Nudeln für mich gibt. Zudem bringt sie mir Wörter aus den Stammessprachen, mit denen sie aufgewachsen ist, Kinyiha und Kisalamo, bei und ist hellauf begeistert, wenn ich sie darin anspreche. Ihre gute Laune und Energie ist ansteckend und gibt mir neue Motivation, alles immer wieder neu zu versuchen und jeden Tag wieder aufzustehen, mit dem Vorsatz, heute alles gut zu machen.

Zudem ist nach fast 3 Monaten fast das Ende der Regenzeit gekommen, welches ich wirklich kaum erwarten kann. Nachdem Tukuyu monatelang von grauen Wolken- und Nebelschleiern verhangen war und der Regen Tag für Tag fast ununterbrochen gegen die Fenster geprasselt hat,ist es jetzt endlich mal wieder Zeit, die Sonne zu sehen. Und meine Wäsche würde auch gerne mal wieder ganz trocknen. Alles war so grau, so düster, doch jetzt ist plötzlich alles wieder heller und freundlicher. Erstaunlich, wie viel Licht doch ausmachen kann. Letztes Wochenende habe ich mit anderen Freiwilligen mal wieder am Malawisee verbracht und zwei wundervolle Tage erlebt, wodurch meine restliche Trostlos-Phase vollkommen von mir abgefallen ist und mir wieder mal gezeigt hat, dass es sich lohnt, hier zu sein. Wir waren wieder im selben Strandhaus wie schon an Silvester, genossen das strahlende Wetter, den leuchtenden Sand und das kühle Wasser. Am Abend saßen wir ums Lagerfeuer am Strand, tranken Cocktails von einem netten Tansanier, spielten Gitarre und sangen dazu und redeten bis spät in die Nacht, während die Sterne über uns leuchteten und sowohl der Himmel als auch die Möglichkeiten unserer Zukunft endlos schienen. Alles schien möglich und in diesen Stunden war alles gut. Allein für solche Momente lohnt es sich, hier zu sein. Das war jetzt, wie immer, nur mal wieder ein kleiner Bruchteil meiner Zeit hier, aber ich hoffe, ich konnte euch zumindest eine vage Vorstellung über meine Eindrücke hier vermitteln. Inzwischen scheint die Zeit nur so dahinzurennen, seit fast 8 Monaten bin ich hier und in 2 Monaten sitze ich schon wieder im Flieger nach Hause.

Aber bis dahin gebe ich mein Bestes, um hier noch eine gute letzte Zeit zu haben und im Moment zu leben, denn nur darauf kommt es an.

Ninawakumbuka wote, Mungu awabariki!

Eure Tabea